3. Oktober 2014

NSU: Emingers Katze



Was Schrödingers Katze den Quantenphysikern, das ist Emingers ihre den Kriminalisten.

Es sind die ersten Sätze, die ein gutes Buch ausmachen.

Ein Gespenst zieht sich um in Europa. Oder daß das BKA als große Waffenkammer erscheint, daher untersucht werden muß, welche Waffe entbehrlich ist. Mann wolle nicht Minister werden. Und die Bundeswehr beginnt nach bisher vorliegenden Information am Montag mit dem Training an Panzerfäusten und Gewehren.

Das sind die großen Einsteiger, mit denen die deutsche Weltliteratur aufwarten kann.

Manchmal bleibt auch nur der Plot hängen, die Idee, jene Stelle eines dicken Schinkens, nein, nicht an der die Frau zur Seite rollt, sondern an der die Handlung kippte. Die muß so brillant sein, daß sie sich einbrennt. Eine einzige ist haften geblieben von all den Chandlers und Hammetts, den Kants und Walldorfs, eine, die dermaßen kühn war, daß die Handlung des Thrillers entfallen ist, die Kippstelle jedoch hängen blieb, weil sich der Leser mit Vergnügen daran erinnert, wie er der hunderte Seiten langen Leimspur des Autors brav folgte, nur um von diesem verarscht zu werden.

Kenner solcher Materie wissen sofort, daß es definitiv nicht um einen deutschen Schriftsteller geht, denn deren Leimspur ist Volkspädagogik und Erziehung, definitiv kein schicker Krimi.

Der Präsident soll ermordet werden. Vom Besten, von Bob Lee Swagger, dem Vietnamkämpfer und Scharfschützen. Er kann den 1000-Meter-Schuß, wenn alle Bedingungen stimmig sind. Auf 1000 Meter das Ziel in der Mitte einer Dollarmünze treffen. Er ist der Richtige für den Job, denn der Präsident gehört weg gemacht.

An der Stelle fragt sich der Krimifreund, wieso es eigentlich keinen deutschen Politthriller gibt, der so einsteigt. Der Kanzler soll ermordet werden, weil er weg muß. Werner, Afghanistanveteran und früherer Scharfschütze der KSK kann den 1000-Meter-Schuß.

Keine Ahnung. Aber genau das ist der Grund, warum hier deutsche Krimikost verschmäht wird, weil es dieses Buch nicht gibt, mit diesem Plot, von einem deutsche Autoren. Da weiß man, daß der deutsche Krimi seit Wallensteins Lager nichts mehr auf die Reihe brachte.

Der Präsident erfreut sich des Lebens. Dafür fällt die neben ihm stehende Person tot um, der Erzbischof von San Salvador. Der Secret Service ist not amused, daß ihr Schutzheiliger Im Fadenkreuz der Angst* stand und seine Lebenslichter vor dem Ende der turnusmäßigen Präsidialherrschaft ausgeblasen werden sollten. Mit allem, was recherchieren und schießen konnte, wurde sich auf die Jagd nach dem Killer gemacht.

Laut Klappentext schrieb die New York Times von einem Pageturner, was wir nach 20 Jahren Lagerung des Buches auch heute gerne bestätigen, wobei es auf genau eine Seite ankommt. Es wird keinen Spoiler geben, obwohl die heutzutage leicht recherchierbar sind, doch so viel sei verraten. Der Shooter war es natürlich nicht. Er findet in einem FBI-Beamten einen Verbündeten, mit dem er die Jagd auf den Killer und die Hintermänner des Attentats durchzieht.

Eine kurzer Handlungsstrang des Romans besteht in einer Gerichtsverhandlung, in der ein Täter öffentlichkeitswirksam für den Anschlag verurteilt werden soll. Die Indizien sind erdrückend. Die Verurteilung nur eine Frage von Tagen. Der Schußwaffen-Forensiker hat seine große Stunde und erklärt, warum genau mit dieser Waffe, und nur mit dieser der 1000-Meter-Schuß gelingen konnte, und warum nur ausgebildete und langjährig mit dieser Waffe schießende Menschen den Mord begehen konnten.

Der wissenschaftliche Stolz und Glanz des Forensikers zerbröckelt binnen Sekunden, als der Angeklagte über die Barriere springt, zu Waffe und Patronen greift und somit die Verhandlung unter seine Kontrolle bringt.

Mit grimmiger Mine fragte er den Richter, ob er wirklich der Meinung sei, daß das Attentat mit dieser Waffe ausgeübt wurde. Das könne er sich ob des vergossenen Laufes nämlich nicht so recht vorstellen. Und wenn man sich dazu die von ihm sehr präzise präparierten Patronen genauer angeschaut hätte, wüßte man, daß die mangels Treibstoff nicht zünden täten.

Was, so will der Angeklagte vom Richter wissen, was wird hier eigentlich für ein Spiel gespielt?

Wir machen weiter mit der neuen Chefin des Referates interne Ermittlungen, gespielt von Veronica Ferres, die in unserem Degeto-Zweiteiler den Mord an einer Polizistin aufklären soll.
-----
Die Kommissarin war in die Schußwaffenforensik geeilt. Über die Medien und den Dienstweg wurde die Kunde verbreitet, in einem fast ausgebrannten Wohnmobil sei die Dienstwaffe einer ermordeten Polizistin gefunden worden. Zudem konnte nicht ausgeschlossen werden, daß in der Nachbarwohnung einer Bekannten der Wohnmobilleichen womöglich die Tatwaffen des Polizistenmordes aufgefunden werden konnten.

Sie wollte sich als erste und selber ein Bild von den neuen Spuren machen, um noch von hier aus die notwendigen Schritte einzuleiten, sollte es einen erfolgversprechenden Fahndungsansatz geben.

„Und? Schon was gefunden?“

„Fingerabdrücke unergiebig, nichts. DNA-Spuren jede Menge, aber keine Treffer in der Datenbank. Da kommt nichts mehr.“

„Was heißt das, da kommt nichts mehr?“

„Die Spur ist tot, aus. Jede Menge DNA, aber keinen Fund. Wird es auch nicht mehr geben.“

„Wieso?“

„Die Spuren wurden nicht erfaßt. Sie sollten nur recherchiert werden, aber die Einspeisung der DNA-Profile in die Datenbanken war nicht erwünscht.“

„Das ist nicht ihr Ernst?“

„Doch, Frau Kommissarin. Sie wissen, daß ich mich mit ihnen nur unterhalte, weil ich weiß, wer sie sind. Ich dürft es ihnen ja nicht mal sagen. Es gab jede Menge Spuren, aber eine vorsorgliche Speicherung in den Datensystemen war nicht erwünscht.“

„Wer sagt denn so was?“

„Keine Ahnung, kam von ganz oben.“

„Ihr Chef?“

„Quatsch, der ist doch nicht ganz oben, der hat das auch nur durchgereicht.“

„Na, mit dem werd' ich mal ein Wörtchen reden.“

„Frau Kommissarin, seien sie nicht albern. Dann könn'se auch hier in den Glaskolben reden und sich nebenbei gleich auskotzen, kommt das gleiche raus. Wissen sie, was ich denke?“

„Sagen sie's mir.“

„Hier wurde ganz schnell, binnen 24 Stunden irgendwas auf's tote Gleis geschoben wo man es nie wieder runter bekommt. Die Spuren sind tot. Falls irgendwann mal, irgendwo, an irgendeinem Tatort diese Spuren auftauchen, dann sind die nagelneu, noch nie irgendwo in Erscheinung getreten.“

„Und so was denkt eine Laborantin?“

„Eigentlich nicht. Aber so was passiert ja auch nur alle Jubeljahre, da denkt man beim Pausentee schon mal laut drüber nach und dann kommt halt auf solche verquere Gedanken.“

„Das heißt, ich brauche hier nie wieder aufschlagen, da ich hier nicht fündig werde?“

„Exakt. Keine Tatwaffen, keine DNA-Spuren, keine Vergleichsmöglichkeiten.“

„Ich bedanke mich für die Offenheit.“

„Und ich für ihre Verschwiegenheit, wenn dies möglich wäre. Mit mir haben sie nie darüber gesprochen.“

Die Wut baute sich langsam auf. Sehr langsam. Sie war unübersehbar, als sie den Konferenzraum betrat, in dem die wichtigsten Mitarbeiter auf ihre Ankunft warteten. Die kleine Runde ahnte, daß keine gute Nachricht überbracht werden würde, daß es aber eine Dampframme war, mit der all ihre Arbeit in den Boden gestampft wurde, das war dann doch enttäuschend.

„Im Prinzip können wir dicht machen. Akten zu, ab ins Archiv und Häkelkurs auf der Volkshochschule buchen.“

„Noch nicht ganz Chefin. Übermorgen ist Gerichtstermin. Hier ihre Aussagegenehmigung. Der Minister war so generös, überall Nein anzukreuzen. Sie mögen aber hinfahren, um den gute Willen des Innenministeriums zu beweisen und die Würde des Gerichts zu achten. Oder so ähnlich.“

„Die können mich mal. Feierabend. Für alle. Und eine Woche Urlaub oben drauf. Überstunden abbummeln. Eine schöne Woche auch.“

Das Team zerstreute sich in alle Winde.

„Chefin? Woll'n wir wir nicht mal wieder eine Tasse Kaffee trinken gehen? Schönes Café am Wasser. Einfach so?“

„Ach ja? Und dann? Wieder diese blöden Sprüche über Zukunft und dieser Scheiß? Nee, vergiß es. Bei dir heißt Kaffee doch immer, daß du eine Stunde später mit zwei Koffern vor der Wohnung stehst und die Kleiderschränke umschichten möchtest.“

„Zwei Stunden später, nicht eine.“

„Versteh ich nicht.“

„Gehen wir jetzt einen Kaffee trinken, oder nicht?“

„Gut, aber nur einen.“

Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde, endete in einer abgelegenen Gegend, war für das Vorhaben jedoch ideal, denn die Besucher konnte man an zwei Fingern einer Hand abzählen.

„Fährst du oder schickst du einen Entschuldigungszettel?“

„Ich mach mir ein paar schöne Tage, muß den Frust abbauen.“

„Paß auf, wir fahren. Ich hätte da eine Idee. Die funktioniert aber nur mit dir.“

Am nächsten Tag fuhren sie beizeiten los, denn um die Stadt München zu erreichen, machten sie ein großen Bogen via Thüringen und Sachsen.

Irgendwann kamen sie dann doch noch am Gericht an. Ihre Sache hatte Zeit, denn die Verhandlung war in Verzug.

„Sie sind Frau Kommissarin? Sie sind jetzt dran als Zeugin, da entlang bitte.“

Sie hob den Korb auf, betrat den Gerichtsaal und nahm am Zeugentisch Platz. Über die Sitzverteilung der Angeklagten hatte sie sich vorab schlau gemacht.

Das Prozedere war dann schnell vorbei, denn nachdem sie das Entschuldigungsschreiben des Innenministers mit der Auskunftsverweigerung vorgelegt hatte, war dieser Part der Zeugenanhörung vorbei.

Sie ging an ihren Platz zurück und öffnete den Deckel des Körbchens. Keine drei Sekunden später schauten zwei schwarze Ohren am Korbrand hervor. Kurz darauf der Kopf einer Katze, die irritiert in die Runde blickte. Sie war aber nur für einen Augenblick irritiert, denn mit einem einzigen großen Satz sprang sie auf den Tisch eines Angeklagten, von dort auf dessen Schulter, und fing an, mit ihm zu schmusen.

„Was ist das?“, fragte der verdutzte Richter.

„Das ist Emingers Katze.“
-----
* Pate dieses posts war die gebundene Ausgabe des List-Verlags von Stephen Hunter aus dem Jahre 1994, die es ohne Danksagung bis zur Seite 463 schafft.