19. Mai 2014

Rußland heute: Tatjana

Mit seinem neuesten Thriller zeichnet Martin Cruz Smith ein überzeugend realistisches Porträt des heutigen Russlands mit all seinen Schattenseiten.

Räuspertaste aus. Nein, wir sind hier nicht in der Rubrik "Was stimmt hier nicht?" Es wäre wohl auch zu viel verlangt, diese Verlagsaussage auf alle Unstimmigkeiten abzuklopfen. Es sei daher ein begründungsloser Schnelldurchlauf unternommen, bevor wir Rußland heute erklären.

Hier einige Fehler des oben zitierten große Klappentexts. Thrill entsteht an keiner Stelle des Buches, es ist weder überzeugend, noch realistisch, auch nicht gezeichnet und von den russischen Schatten sind vielleicht zwei bis drei verarbeitet worden.

Im Krimileser wabert ja so eine Ahnung, was uns Frau und Herr Bertelsmann mitteilen wollten. Der Krimi ist die letzte verbliebene Bastion der Kunst, in der Gesellschaftskritik untergebracht, geübt, ausgelebt, beschrieben werden darf, ohne Sanktionen zu befürchten. Der Krimiautor dürfe alles was die Gedanken sind frei hergeben aufschreiben, anklagen, bemängeln, anprangern, sezieren, kritisieren, den Menschen im übelsten Licht darstellen, so es der Federkiel aufzuschreiben vermag.

Mag sein, daß sie uns ungefähr das mitteilen wollten. Haben sie nicht. Hätten sie es getan, wäre auch das eine hohle Phrase, denn all das kommt in dem Buch nicht vor. Weder das im Eingangszitat behauptete, noch das vom Krimileser unterstellte.

Arkadi Renko ist wieder auf Tour. Mehr ist nicht passiert. Die atmosphärische Dichte, Rasanz und Zielstrebigkeit von "Gorki Park" - der Film - erreicht "Tatjana" auf keiner einzigen Seite.

Trotzdem war es ein guter durchschnittlicher Verbrauchskrimi, so eine Art überteuerter McKrimi.

Der Vater Tatjanas war Historiker und pflegte gern zu sagen: "Je weniger man weiß, desto besser."
"Was ist denn das für ein Historiker?"
"Ein russischer. Er sagte, in einem normalen Land schreitet Geschichte voran. Entwickelt sich. Aber in Russland kann sie in jede Richtung verlaufen oder vollkommen verschwinden, worum uns die ganze Welt beneidet...
Sein größter Wunsch war, dass Russland einfach so wäre. Nicht perfekt, bloß normal."


S. 256

Martin Cruz Smith
Tatjana
1. Auflage, 2013
C.Bertelsmann Verlag, München
315 Seiten
14,99 Euro im Hardcover

Wer 15 Euro für das Teil ausgibt, ist selber Schuld, hat zu viel Geld, in diesem Jahr noch nicht gespendet oder will es wirklich lesen. Für geborgt wäre die ehrlichste Leseform, denn eine Kaufempfehlung kann ob der dünnen Story nicht ausgesprochen werden.