19. Juli 2013

in eigener Sache: Die Anmerkung jetzt noch bissiger

Fast wäre es auf der Ziellinie noch schiefgegangen. Nur fast, denn kurz vor dem Rübertorkeln wurde der Vorschlag der Zahnärztin wiederstandslos akzeptiert, eine Akupunktur vorzunehmen, um dem häßlichen Würgereiz Paroli zu bieten.

Wochenlang wurde sich von Suppe, Leberwurst, Käse mit der Konsistenz von Quark und weichem Brot ernährt und somit Expertenwissen aufgehäufelt, um die Streitschrift "Der Anteil der Leber an der Wurst" als Bestseller auf den Markt zu werfen.

Das geht insofern nicht, da bei der genannten Ernährungslage keine Ambi­tionen zu geistig intensivem Arbeiten bestehen, zumal der Körper im Vergleich zum kurzeitigen Februarhoch auch noch zwei Kilogramm der zugeführten Nahrung verlor, die nun mühevoll wieder raufgedroschen werden müssen. Nun ist auch klar, welche Bedeutung der blaue Pfeil im verlinkten Diagramm hatte. Das war ein Zahnarzttief.

Sei es wie es war. Die erste Sitzung war am schlimmsten, Beschleifung der Zähne und Anfertigung von 6 Abdrücken, nur um daraus eine Spezialbrücke für eine Beißhilfe anfertigen zu können. Die Standardmethode eines Modell­gusses fiel wegen Würgereiz aus, denn das Teil würde sich keine zehn Sekun­den in der Mundhöhle halten, da Zunge und Gaumen jede unerwünschte Reizung sofort an den Magen durchreichen.

Noch schlimmer wog, daß kurz darauf ein wichtiger Stützzahn einer anderen Prothese abbrach und damit die nächste Aktion absehbar war. Schwarze Wochen für Die Anmerkung

Anschließend fanden immer nur Anproben statt, was aber nicht mit leckeren Steaks versüßt werden konnte, da sich zwischen den Terminen Nahrung nur per Plastikprovisorium im Mund verteilen ließ. Knackware fiel aus.

Irgendwann war dann das georderte Produkt fertig und wurde vorläufig und nur zum Probetragen an den Brückenzähnen mit Duosan festgeklebt. Es dau­erte nicht lange, dann fing das Drama an. Der Würgehals würgte und würgte und wollte das Teil loswerden, das da nicht hingehörte, wo es sich momentan befand. Der Vagusnerv glühte bei so viel elektrischen Impulsen, die zur Magen­höhle geleitet werden mußten, um nochmal prüfen zu können, was den Tag über genascht worden war.

24 Stunden später war der Spuk vorbei. Von jetzt auf sofort.

Ich bin fix und fertig, runter mit den Nerven und habe keine Ahnung, wie ich dieses Teil ein paar Jahre tragen soll, wenn es schon am ersten Tag wieder raus will, vom Sprechen gar nicht erst anzufangen, da ich nach anderthalb Sätzen was trinken muß, um den Würgereiz zu dämpfen.

Daraufhin wurde der Vorschlag unterbreitet, eine Aku­punktur vorzunehmen und die Zementierung des Konstruktes um einen Tag zu verschieben.

Die Nadeln wurden rechts und links im Ohr bzw. dicht daneben platziert und was sag ich euch Leute, binnen 120 Sekunden war ich die Ruhe in Person, schnatterte drauf los, was das Zeug hielt, bekam einen ruhigen und voll­kom­men entspannten Atem und fürchterlichen Bronchialhusten. Es mag sein, daß alleine die Tatsache, daß an diesem Tag keine Behandlung mehr stattfand, eine wohl­tuende Wirkung provozierte. Das erklärt allerdings nicht die vielen Seiten­effekte der Akupunktur. Das sanfte Blubbern aufsteigender Magensäure hörte auf, die Atemmuskulatur entspannte sich, der Würgereiz entfleuchte Richtung Australien, war also weit weg.

Bei jedem Abhuster erkundigte sich die Schwester ängstlich nach dem Wohl­befinden, woraufhin ich ihr den Mechanismus zwischen enspannter Atem­muskulatur und Abhusterei erklären mußte. Es war also vollkommen okay und ein Segen, daß seit langem wieder mal der ganze Bronchialbrei entsorgt werden konnte.

Etwa eine dreiviertel Stunde lang habe ich ein erholsames Nickerchen im Zahnarztstuhl genossen, ehe ich nach Hause entlassen wurde. Die Zemen­tierung am nächsten Tag fand trotz ängstlicher Erwartung ohne Würgereiz statt.

Kurz darauf wurde der abgebrochene Zahn gezogen, mit einer entspannten Körperhaltung und Atmung, wie ich sie noch nie beim Zahnarzt hatte. Zwei Tage später bekam ich eine weitere Akupunktur, mit gleichen Effekten wie oben geschildert. Wieder wurden Abdrücke genommen, um weitere zwei Tage später die reparierte Prothese zurück zu bekommen.

Et voila. Seit einer nicht mehr erinnerlichen Anzahl von Jahren gibt es zum ersten Mal wieder einen rundum geschlossenen Biß zwischen Ober- und Unterkiefer*, ein Ereignis, daß selbstverständlich gebührend mit edlem Steak gewürdigt wurde und immer noch gewürdigt wird.

Da kann man mal sehen, wie falsch der Mensch sozialisiert werden kann. Vietnam rettet das Korn, das gute alte Filmkorn. So heißt es zuweilen im Blog.

Eines Tages besuchten wir in Ho-Chi-Minh-Stadt eine Rauschgift-Ent­ziehungs­klinik. Das verwundert weiter nicht, da in dieser asiatischen Region eh eine der Hauptquellen von Rauschmitteln jeder Art zu finden war, die durch jahr­zehn­te­langen Krieg und CIA-Aktivitäten zu einem prosperierenden Rausch­gift­handel und -gebrauch führten.

Mithin, Vietnam hatte ein Problem, das wesentlich aus dem Krieg herrührte, kam damit aber klar. In der Klinik wurde uns der Ablauf des Rauschgiftent­zugs in all seinen Stadien vorgeführt und erörtert. Es ging wohl um Heroin oder ander Opiate, weiß ich nicht mehr. Die Stadien sind im übrigen die gleichen, die sich seit über hundert Jahren in allen Bereichen der Suchtbehandlung bewährt haben. Körperlicher Entzug mit ärztlicher Begleitung, Erlernung der Nahrungsaufnahme, körperliche Ertüchtigung, Beschäftigunsgtherapie, künstlerische Betätigung, Pflege sozialer Kontakte usw.

Für das Thema des posts ist das Foto interessant, die Akutbehandlung nach Einlieferung eines schwerst abhängigen Rauschgiftkranken. Eine der ersten Behandlungsmethoden war die Akupunktur, also Stimulierung wesentlicher Nervenaktivitäten.



Der Wuschelkopf im Vordergrund war Arzt, Mitglied unserer Reisegruppe und mein Zimmerteiler, was mir wenige Tage später in Da Nang das Leben rettete, denn er wies mich wegen meines schweren allergischen Schocks ins dortige Krankenhaus ein, wo ich selber in den Genuß einer ordentlichen Dosis Morphium kam, die mir einen 24-stündigen Genesungsschlaf bescherte.

Der vietnamesische Arzt fragte also, ob jemand Schnupfen habe, den könne er wegnadeln, es dürfe allerdings kein Heuschnupfen sein. Schon aus purem Eigennutz meldete sich unser Arzt, ließ sich nadeln, durfte anschließend eine fürchterlich stinkende Kräuterzigarre inhalieren und war kurz darauf seinen Schnupfen los, um ihn zwei Tage später wieder zu haben, seinen Heu­schnup­fen, wie er mir dann verriet. Ihn hatte vorrangig das ärztliche Interesse zur Nadelung verleitet.

Tja, so wurde ich vor 30 Jahren in die Akupunktur eingeführt. Wird mit viel Voodooo zelebriert, bringt aber nichts.

Heute sehe ich das vollkommen anders, nachdem die bisher an mir voll­zo­genen Nadelungen eine wesentlich wichtigere Wirkung als die Verdrängung des Würgereizes haben, nämlich eine extreme psychische und dem folgend muskuläre Entspannung. Lecker. Richtiggehend lecker.

Vor allem kann man jetzt wieder richtig leckere Sachen beißen, weil die Bissigkeit wieder da ist. Das ist eine erhebliche Verbesserung der Lebens­qualität, trotz der Quälerei, die man wochenlang durchstehen mußte.
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* Dazu später mehr, wenn es um Bandscheibenvorfälle in der HWS geht.