10. Juli 2012

Teidesucht: Fotografieren bis zum Zusammenbruch



Wir haben die Belichtung in deinem Video verbessert. Gefällt dir die neue Version?
Nein, gefällt mir überhaupt nicht. Wird wieder rückgängig gemacht. War doch Calima, da ist das dann so.
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Eine dem Autoren dieses posts bekannte, allerdings anonym bleiben wollende Persönlichkeit am 16. und 18.05.2012 an verschiedenen Orten zu verschiedenen Personen. Für diesen post exklusiv in die folgende Aussage komprimiert.

Ich glaube, ich bin teidesüchtig. Ich kann mich an dem Berg gar nicht genug satt sehen. Wenn ich wieder zu Hause bin, gründe ich mit mir die Selbsthilfegruppe "Anonyme Teidesüchtige".

ZEIT ONLINE: Wieso fotografieren sie den Teide schon so lange?

Anonym: Weil das süchtig macht.

ZEIT ONLINE: Sie meinen, Sie sind süchtig?

Anonym: Das würde ich doch niemals zugeben! Ich würde immer sagen, dass die Welt meine Fotos braucht.


Das Schicksal dieser bedauernswerten Person war für die Tourismus- und Suchtredaktion des Blogs Anlaß, eine warnenden Artikel anfertigen zu lassen, der die traurigen Konsequenzen der Teidesucht aufzeigt. Hier also Teil 2 des großen Drogenreports.
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SPINNER-ONLINE 09. Juli 2012, 09:12 Uhr
Teidesucht

Fotografieren bis zum Zusammenbruch

Von Die Anmerkung

Fast 200.000 Menschen sind teidesüchtig. Der Teide besitzt das größte Suchtpotential, trotzdem wird er vom spanischen Staat nur mäßig bis gar nicht reguliert. Der Grund: Es geht um Milliarden von Euro.

Dennis K.s Karriere als Teidesüchtiger begann in einem Imbiss in der Nähe von Los Christianos. Zwischen Pommes und Bierkrügen sah der 17-Jährige den Teide, auf dem noch Schnee lag. Dennis drückte auf einen Knopf seines Fotoapparates und hatte ein Foto vom Teide mit Schnee auf der Speicherkarte. Er war angefixt und begann regelmäßig zu fotografieren. "Für diese Momente habe ich alles vergessen, was um mich herum war", erzählt er in einem YouTube-Video, mit dem er andere über seine jahrelange Teidesucht aufklären will.

Dennis ist einer von derzeit 193.417 Abhängigen. Zählt man auch jene hinzu, die mindestens einmal im Laufe ihres Lebens den Teide gesehen haben, sind es 531.689 Menschen, wie eine Studie von Suchtforschern an der Universität Lübeck ergab.

Der Teide löst Glücksgefühle aus

Der Teide ist für viele die Einstiegs- und auch meist die Enddroge. Er ist die gefährlichste Variante. Die Hemmschwelle ist niedrig. Schon mit 25 Euro ist man oben am Gipfel dabei. Teidesüchtige unterliegen der Illusion, die Sucht kontrollieren zu können. Gefällt ihnen die Aussicht von da oben, machen sie weiter, weil sie an eine fotografische Glückssträhne glauben und ihre Hormone sie pushen. Gefällt es ihnen nicht, machen sie auch weiter - um die verloren Bilder später zu holen, wenn schöneres Wetter ist.

Bekannt ist, dass der Botenstoff Dopamin eine zentrale Rolle einnimmt, wenn Süchte entstehen - auch bei der Teidesucht. Das auch als Glückshormon bezeichnete Dopamin aus dem Zwischenhirn wird etwa bei erfolgreicher Besteigung des Teides vermehrt ausgeschüttet und regt das Belohnungssystem an. "Im Laufe der Zeit reicht allein die Erwartung des Gewinns aus, um es zu aktivieren", sagt Klaus Wölfling, Psychologe an der Spielsuchtambulanz Mainz.

Das Gefühl ist so gut, dass man es wieder und wieder erleben möchte. Gleichzeitig brennen sich dem Gehirn die Begleitreize ein: Das Klingeln der Seilbahn, der schweinegesunde Geruch in über 3500 Meter Höhe, das grelle Licht - das alles kann plötzlich Glücksgefühle auslösen, weil der Körper in dieser Umgebung zuvor eine angenehme Erfahrung gemacht hat.

Zudem führen neuronale Veränderungen dazu, dass die Ausschüttung von Dopamin bei anderen Aktivitäten nicht mehr ausreicht - irgendwann macht nur noch Teideglotzen glücklich. Das Belohnungssystem der Süchtigen stumpft ab, so Wölfling.

Vor allem Jugendliche sind gefährdet. Ältere aber auch. Eine Untersuchung in Rheinland-Pfalz ergab ein klares Versagen des Älterenschutzes. Noch viel weniger Kontrolle und Älterenschutz besteht bei Online-Teide-Gucken. Theo Baumgärtner, Leiter des Büros für Suchtprävention in Hamburg, führte 2009 eine Befragung unter Urlaubern durch. Das erschütternde Ergebnis: Jeder zehnte war bereits im Teide Nationalpark und hat dafür Geld ausegeben.

Männer mit riskanten Verhaltensweisen

"Prinzipiell kann es jeden treffen", sagt Tobias Hayer, Suchtforscher an der Universität Bremen. Bestimmte Personengruppen sind jedoch besonders gefährdet, wie Wissenschaftler um den Suchtforscher Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck im Rahmen der Page-Studie (Projekt Pathologische Teidesucht) bei der Untersuchung von 15.000 Menschen herausgefunden haben:

90 Prozent sind Männer

Ob Begleiterkrankungen und -süchte dabei Ursache oder Folge der Teidesucht sind, ist unklar. Dass neun von zehn Süchtigen männlich sind, erklärt Hayer damit, dass Männer generell eher zu riskanten Verhaltensweisen neigten. "Frauen haben eine höhere Hemmschwelle, auf einem hohen Berg rumzukraxeln", so der Suchtforscher.

Hohe Abbrecherquote in der Therapie

Die Tourismusindustrie verdient mit der Teidesucht Milliarden. Mehr als die Hälfte der Einnahmen kommen durch Süchtige, schätzt Wirtschaftswissenschaftler Ingo Fiedler. Jobst Böning wirft der Tourismusbranche daher vor, "ein Geschäft mit Kranken" zu betreiben.

Das Therapieangebot in Deutschland ist allerdings gut aufgestellt: "Mittlerweile haben wir in Deutschland eine erste Selbsthilfegruppe für Teideüschtige mit amateurhaften Hilfemöglichkeiten", so Hayer. Die Anonymen Teidesüchtigen erhalten auch staatliche Hilfe.

Zuvor waren Teidesüchtige lange wie Alkohol- und Drogensüchtige betreut worden. Doch es gibt Besonderheiten: "Teidesucht ist ein Männerproblem, und es ist oft noch eine Migrationsproblematik vorhanden - das muss man bei der Ansprache der Betroffenen berücksichtigen", sagt Martina Schu, die die Suchtberatung in Hessen ausgewertet hat.

Anhang - woran man die Teidesucht erkennt

KRANKHAFTE TEIDESUCHT

Das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM-IV) definiert die pathologische Teidesucht als andauerndes und wiederkehrendes, fehlangepasstes Verhalten im Urlaub, was sich in mindestens fünf der folgenden Merkmale ausdrückt (treffen nur drei bis vier Merkmale zu, handelt es sich um problematisches Urlaubsverhalten):

1. Starke Eingenommenheit vom Teide (z.B. starke gedankliche Beschäftigung mit Geldbeschaffung)
2. Steigerung der Einsätze, um gewünschte Erregung zu erreichen
3. Wiederholte erfolglose Versuche, den Teide zu besteigen, ihn kontrolliert zu begehen oder es sein zu lassen
4. Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, den Teide wenigstens mal teilweise zu erklimmen
5. sich mit dem Teide beschäftigen, um Problemen oder negativen Stimmungen zu entkommen
6. Wiederaufnahme der erfolgloser Teidebesteigung im nächsten Urlaub
7. Lügen gegenüber Dritten, um das Ausmaß der Teideproblematik zu vertuschen
8. Illegale Handlungen, um auf den Teide raufzukommen
9. Gefährdung oder Verlust wichtiger Beziehungen, von Arbeitsplatz und Zukunftschancen
10. Hoffnung auf Bereitstellung von mehr Urlaubsgeld durch die Firma oder Dritte