14. August 2011

wie ich mal den UNO-Beobachter machte



Es gibt viele Gelegenheiten und Situationen, da ist es angebracht, den UNO-Beobachter zu geben. Man nimmt seinen Platz ein, wenn es geht schön bequem, und beobachtet genüßlich die Szenerie, hält sich aber ansonsten aus der Sache raus, oder gar fern, je nachdem. Ein Kinogang ist u.a. eine solche Gelegenheit. Man löhnt ordentlich Knete, fläzt sich in den Sessel und sagt sich: Nun macht mal. Oft machen sie es nicht, die Löhnung war rausgeschmissenes Geld, manchmal funktioniert es aber. Bei Konzerten sowieso. Wie gesagt, derlei Gelegenheiten gibt es im Leben, man muß nur die Entscheidung fällen, sie zu nutzen, verstreichen zu lassen oder sich reinzuhängen.

Oder, um es mit den mahnenden Worten eines Erziehungsberechtigten aus den Kindertagen zu sagen: Man muß sich nicht an jeder Keilerei beteiligen.

Gestern war so ein Tag, der dafür prädestiniert ist. Man kann zum Mauerbau ein Meinung haben, muß es aber nicht. Man kann diese Meining äußern, muß es aber nicht. Man kann keine Meinung haben und dies äußern, oder einfach nur mit den Schultern zucken. Das ist alles egal. Man kann sich aber auch voller Vorfreude dazu entschließen, das Ereignis vollkommen zu negieren und den UNO-Beobachter zu geben, sich auf die Galerie setzen und sich die Show reinziehen, die unter Garantie geboten wird.

Ich hatte gestern zuerst Zettel gelesen und bin selbstverständlich sofort zur Zeitung "Junge Welt" gesprungen, um mir das Kunstwerk zu betrachten, das Zettel kritisiert hatte. Ich habe mich prächtig amüsiert, eine feine Show, die da abging. Die Zeitungsredaktion habe ich im Grunde beneidet, denn sie hat eindrucksvoll nachgewiesen, wie simpel Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert, wie tief die pawlowschen Reflexe verinnerlicht sind.

Am meisten hat mich gefreut, daß es offensichtlich nach wie vor sehr einfach ist, jemanden ins offene Messer laufen zu lassen. Die "Junge Welt" hat das Stöckchen hoch gehalten, und alle sind brav gesprungen. Astreine Leistung, da kann ich nicht meckern. Ich habe mir Zettels Artikel übrigens nicht durchgelesen, weil er mich nicht interessiert, da mit der Reaktion auf die Zeitung bereits alles gesagt war. Noch zwei Tage zuvor hatte Zettel wieder einmal einen seiner sehr fundierten und durchdachten Artikel fabriziert, in dem er für Analysen statt Klischees plädierte, um gestern dann selbst in Klischees zurückzufallen.

Klischees erfüllen zwei Funktionen: Erstens ersparen sie das Denken und die Prüfung der Fakten. Zweitens erlauben sie es, die Wirklichkeit aus einer ideologischen Perspektive darzustellen. Sie dienen damit der politischen Agitation.

Heute liefert er gleich den nächsten Beitrag hinterher, der, statt sich in Analyse zu üben, in politischer Agitation daher kommt. Ob es Zettel wahrhaben will oder nicht, erst kommt das Fressen, dann die Moral. Stammt nicht von Marx, stimmt trotzdem.

Sei es, wie es gestern war. Hätte Schlingensief in seinen besten Tagen ein solches Gemälde wie die "Junge Welt" entworfen, das Feuilleton hätte nach drei Tagen Schockstarre die ersten Ah-und-Oh-Rufe ertönen lassen, umfängliche Expertisen verfertigt, wie der das nun meint, wie es sich in die Kunstbanauserei der letzten Jahrzehnte und überhaupt einordnet, und wie sich die Theaterlandschaft in Zukunft verändern wird, denn nun sei nichts mehr wie es sowieso noch nie gewesen ist. Nun, die "Junge Welt" ist nicht Schlingensief, hat aber in ihrer journalistischen Geschichte durchaus einen unumstrittenen Verdienst, als sie am 1. bzw. 2. Oktober 1987 nach dem blamablen Auscheiden aller Clubs aus dem Europapokal die reservierten Spalten unbedruckt ließ und stattdessen kundtat: "Drei schieden aus - Kommentar überflüssig!*"

* Den Kumpels von Wismut Aue wurde dann in einer Fußnote alles Gute für die nächste Runde gewünscht.

Ich habe aus archivarischen Gründen eine Screenschottin fertig gemacht. Eigentlich zwei, die zweite folgt darunter.



Mittlerweile sind es 3 Tsd., die das auf der Fratzenkladde für gut befinden.

Ja, es war wohl eine historisches Ereignis gestern, scheinbar, bis 13 Uhr, als es auf einmal stillschweigend von den Startseiten der nationalstolzen Medien verschwand. Halten wir fest, was die meist gelesene und wichtigste Boulevard-Zeitung des Landes dem deutschen Volk zum 50. Jahrestag vermitteln wollte. Titelseite von Werbung und Redundanz befreit. Ganz so viel Schelte hat die "Junge Welt" dann doch nicht verdient.